Donnerstag, 4. April 2013

Wohngemeinschaft statt Pflegeheim

Eine Pflege-WG für Demenzkranke in Hammoor bei Hamburg (Archivbild)






Neun Frauen wohnen in einer Demenz-WG in . Die Pfleger haben Zeit, sich um jede Einzelne zu kümmern. Betreute Wohngemeinschaften werden immer beliebter.
Eine Pflege-WG für Demenzkranke in Hammoor bei Hamburg (Archivbild)
Eine Decke um die Schultern gewickelt, wandert Frau Meier* über den Flur. An einem Korbsessel bleibt sie stehen und fährt mit den Fingern über die Lehne. Die Pflegerin legt eine Hand auf ihre Schulter. "Kommen Sie, wir wollen Abendbrot essen." Aus der Wohnküche riecht es nach Suppe. Die anderen acht Bewohnerinnen der Demenz-Wohngemeinschaft in Hamburg-Wandsbek sitzen bereits am Esstisch.
Wie Frau Meier lebt auch die Mutter von Marita Schmidt seit der Gründung der WG im Juli 2009 hier. Vor dem Einzug wurde sie dreieinhalb Jahre von ihrer anderen Tochter zu Hause gepflegt. Als das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich war, kam die Mutter zunächst in Kurzzeit-Pflege. "Eine wirkliche Alternative war das nicht", sagt Schmidt. Dort teilte sie sich das Zimmer mit einer anderen Frau, die weder aufstehen noch sprechen konnte.
Die Familie erfuhr schließlich von der Wohngemeinschaft, die gerade entstand. "Mit neun Plätzen ist die Einrichtung überschaubar. Hier kann individuell auf die Bedürfnisse meiner Mutter eingegangen werden und sie fühlt sich wohl", sagt sie.
Das Gemeinschaftsleben verändert sich
Die Voraussetzungen dafür sind gut. Auf knapp 350 Quadratmetern hat jede Bewohnerin ihr eigenes Zimmer mit seniorengerechtem Bad. Frau Faasch sammelt auf dem Schreibtisch und an den Wänden ihre Erinnerungsstücke und Fotos. Die Bilder ihrer Kinder stehen gleich neben dem Fernseher. Sie sieht am liebsten Krimis und die Sportschau.
  • Kosten der Demenz-WG
Leben und Pflege in der Demenz-WG müssen unterschiedlich finanziert werden. In den Bereich "Leben" fallen die Miete für das eigene Zimmer,  eine Haushaltspauschale, von der zum Beispiel Lebensmittel eingekauft werden und Geld für den persönlichen Bedarf wie ein Friseurbesuch. Diese Kosten müssen die Angehörigen komplett tragen. Für Pflege und Betreuung zahlt die Pflegekasse einen Zuschuss. In der Pflegestufe 1 werden von den Gesamtkosten von etwa 2.000 bis 2.500 Euro  440 Euro erstattet, der Eigenanteil kann also bis zu 2.060 Euro betragen. In der Pflegestufe 3 werden 1.510 Euro erstattet, und der Eigenanteil liegt zwischen 790 und 2.590 Euro. Je nach finanzieller Situation der WG-Bewohner können auch Sozialhilfeträger Teile der anfallenden Kosten übernehmen.
Mit Mitte sechzig gehört sie zu den jüngeren Bewohnerinnen.  Sie leidet an Demenz und Multipler Sklerose und kann sich immer schlechter ausdrücken. "Wir konnten sie nicht zu Hause pflegen, darum waren wir glücklich über den WG-Platz", sagt ihr Sohn Martin Faasch.  "Wenn ich meine Mutter hier besuche, spüre ich, dass es ihr gut geht."
Neben dem privaten Bereich gibt es in der Küche und den Sitzecken Platz für Gemeinsames. Hier sitzen die Bewohner zusammen, spielen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht oder singen. Aber das gemeinsame Leben verändert sich, wird immer weniger. "In den letzten vier Jahren ist die Krankheit bei allen vorangeschritten", erklärt Faasch. Sie gehen seltener gemeinsam in die Stadt und sprechen weniger miteinander. "Beim Einzug war der Austausch untereinander intensiver. Heute müssen die Pflegekräfte deutlich mehr zu Aktivitäten animieren", berichtet auch Frau Schmidt.
Die Angehörigen entscheiden mit
24 Stunden werden die Bewohnerinnen von einem ambulanten Pflegedienst betreut, mit bis zu vier Pflegern am Tag und einem in der Nacht. Statt Akkordarbeit am Bett können sie sich hier Zeit für den Alltag lassen. Eine Hauswirtschafterin kocht täglich frisch. Beim Tisch decken und Gemüse schneiden helfen die Bewohnerinnen. Weil das nicht mehr so schnell geht, fangen sie um zehn Uhr mit den Vorbereitungen an. Eine feste Struktur des Tages soll den Demenzkranken helfen, sich besser zu orientieren.
Individuelle Bedürfnisse lassen sich dabei in den Tagesablauf einbauen. "Meine Mutter legt Wert auf ihr Äußeres und ihre Frisur. Darauf nimmt man Rücksicht, es wird Teil der Therapie", sagt ihre Tochter lächelnd. Mehrmals in der Woche besucht Schmidt ihre Mutter, nimmt sie mit zum Einkaufen oder bastelt gemeinsam mit anderen Bewohnern.
Die Angehörigen spielen in der Organisation des Alltags eine wichtige Rolle. Das Konzept der Demenz-WG sieht nicht vor, dass sie die Kranken ganz abgeben und einmal im Monat einen Pflichtbesuch absolvieren. Sie sind die Auftraggeber des Pflegedienstes, haben den Mietvertrag und die Angehörigenvereinbarung gemeinsam unterschrieben und beteiligen sich an der inhaltlichen Arbeit. "Wir treffen uns regelmäßig, um Neuigkeiten zu besprechen. Das geht von der Anschaffung von Möbeln, über neue Therapieanwendungen bis hin zur Planung von Ausflügen", erklärt Faasch.
 Quelle: www.zeit.de ( Thema Demenz)

So fühlen Demenzkranke sich zu Hause wohl

Pflegebedürftiger

                             





Was Angehörige tun können, damit Demenzkranke sich daheim geborgen fühlen und nicht weglaufen
 Die alten Filzpantoffeln am gewohnten Ort: Demenzkranke Menschen  brauchen Routine und Sicherheit
Sie wollen nicht einfach nur weg. Sie wollen irgendwo hin. Ins Büro. Zur Mutter. Zur Bank. "Wenn demenzkranke Menschen davonlaufen, haben sie meist ein Ziel vor Augen", erklärt Jochen Gust, Mitarbeiter des Fachdienstes Geriatrie des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Eutin. Die Frage ist nur: Welches? Was bewegt die Suchenden?
„Es gibt viele Gründe, und oft sagen Kranke direkt, was sie wollen“, betont der Demenzexperte. Sich in ihn einzufühlen und ihm sein vertrautes Zuhause zu schaffen, lässt den Kranken häufig schon zur Ruhe kommen.

Wertvolle Tipps für alle, die mit Demenzpatienten zusammenwohnen:

Vertrauen fassen

Bereits ein zärtlicher Händedruck kann Ihrem Angehörigen vermitteln: „Hier bist du in Sicherheit!“ Doch ob wortlose Geste oder direkte Ansprache: „Kündigen Sie jede Kommunikation behutsam an“, betont Jochen Gust. Sonst erschrickt der Kranke – und er will erst recht fort.

Hilfsmittel nutzen

Ein Windspiel, eine Klingelmatte vor dem Bett oder Bewegungsmelder an der Tür geben Laut, wenn jemand das Haus verlässt. „Ortungsgeräte (GPS) helfen, Personen aufzuspüren“, sagt Nina Reichwaldt von der TU Braunschweig. Die mobilen Sender lassen sich wie eine Uhr tragen, am Gürtel befestigen oder sind in ein Handy integriert. Über eine Notrufzentrale oder den heimischen Computer lässt sich der Träger des Senders orten.

Haustür unauffällig gestalten

Am besten, die Haustür gerät nicht ins Blickfeld des Rastlosen. Sie fällt weniger auf, wenn Sie sie in der Wandfarbe halten. „Bitte keine schwarze Matte auf den Fußboden vor der Tür legen“, warnt Gust. Das hält ein Alzheimerkranker schnell für ein tiefes Loch, er gerät in Panik. Schuhe oder Gehstock wegräumen nützt nichts. In der Not läuft der Demenzkranke vielleicht barfuß davon.

Freien Lauf lassen

Ihr Angehöriger wandert umher, läuft aber nicht weg? „Lassen Sie den Bewegungsdrang zu“, rät Pflegeprofi Gust. Wichtig ist, dass der Demenzkranke dadurch nicht in Gefahr gerät. Ein Ort im Freien sollte deshalb umzäunt sein, keine Stolperfallen haben, dafür Plätze zum Verweilen. Stabiles Schuhwerk ist wichtig. In vielen Gemeinden arbeiten ehrenamtliche Helfer, die für Spaziergänge mit den Hilfebedürftigen die nötige Zeit mitbringen.

Den Kranken verstehen

Ihr Mann will am Morgen immer aus dem Haus? „Vielleicht will er zur Arbeit“, erklärt Ralph Möhler von der Universität Witten-Herdecke. Reden Sie ihm das nicht aus, ein demenzkranker Mensch versteht das nicht – er lebt in seiner eigenen Zeit. Gehen Sie darauf ein. Stellen Sie Ihrem Mann beispielsweise „Bürounterlagen“ zur Verfügung – Papier, eine alte Schreibmaschine. Vielleicht ist er aber auch unruhig, weil er Schmerzen hat oder zur Toilette muss, eventuell verstärken Medikamente seinen Bewegungsdrang. Beobachten Sie den Kranken: Wann erscheint er wie getrieben? Bitten Sie auch Besucher, dass sie Ihren demenzkranken Angehörigen nie im Vorbeigehen kurz grüßen. Das ist für ihn ein falsches Signal. Denn der Kranke rätselt vielleicht, wo er sich befindet. Aus seiner Sicht ist es logisch, jetzt dem anderen zu folgen, der ihn zu kennen scheint und zu wissen, wo es hingeht.

Alles beim Alten lassen

Veränderungen verunsichern Demenzkranke schnell und verstärken ihre Rastlosigkeit. Ob Wärmflasche oder Kaffeedose: In der Wohnung sollte alles am gewohnten Platz zu finden sein. Sorgen Sie für einen regelmäßigen Tagesablauf, idealerweise mit festen Zeiten für Spaziergänge. Sind Veränderungen unumgänglich, dann bereiten Sie Ihren Schützling behutsam darauf vor. Das gilt auch, wenn er fremde Menschen kennenlernen soll.

Was tun, wenn der Demenzkranke wegläuft?

1. Ruhe bewahren!
2. Polizei sofort anrufen (110). Diese hilft umgehend, nicht erst nach 24 Stunden, wie oft angenommen. Sagen Sie, wer für die Polizei fester Ansprechpartner ist.
3. Suche starten: im Haus, im Garten und in der unmittelbaren Nachbarschaft.
4. Telefonliste abtelefonieren.
5. Einer bleibt zu Hause, falls der Vermisste zurückkommt oder zurückgebracht wird.

So sind Sie auf den Notfall gut vorbereitet:

  • Telefonliste zusammenstellen mit allen Namen und Orten, wo der Vermisste sein könnte (etwa Geburtshaus, altes Büro, Kneipe). Alle Beteiligten informieren.
  • Kleidungsstücke des Demenzkranken mit Namen, Adresse plus Ihrer Handynummer bestücken (per Zettel oder Aufnäher).
  • Immer aktuelles Foto Ihres Angehörigen parat haben. Bei vielen Polizeidienststellen gibt es Vordrucke für eine Personenbeschreibung, auf Aktualisierung achten.
  • Im Vorfeld organisieren, wer einen privat wo bei der Suche unterstützt.

     Quellewww.senioren-ratgeber.de